Samstag, 11. Juli 2009

Kapitel 13.5

Senff hatte zu Ende gepinkelt, er schüttelte sich die Erinnerungen an seine frühere Stellvertretung aus dem Kopf. Er ärgerte sich, dass jemand diesen Ungeist aus seinem Gedächtnis gekramt hatte. Dieser unselige Typ, kam es Maxim in den Sinn, der hat doch von Anfang an gegen mich opponiert, weil er die Stelle des Direktors haben wollte. Maxim nestelte mit der einen Hand an seiner Hose und betätigte mit der anderen die laut kraschende Spülung. Die beiden Herren an den Pissoirs sagten nichts mehr, als sie merkten, dass da jemand gewesen war, der ihr Gespräch belauscht hatte.
Maxim öffnete die Tür. Obwohl beide mit dem Rücken zu ihm standen, erkannte er sofort, es waren Hobbler und Trudolf von der Inventarisierung. Beide ahnten, wer da hinter ihnen stand, getrauten sich jedoch nicht, sich umzudrehen. Dann sagte einer fast mehr aus einer Ahnung heraus: „Guten Tag, Herr Direktor!“, und der andere wiederholte den Gruß.
„Guten Tag!“, spitzte Senff und schritt ruhig in den Vorraum zu den Waschbecken. Die Stille im WC erinnerte an Glas. Maxim hörte, wie es irgendwo leise tropfte, Hobbler und Trudolf waren inzwischen ohrenscheinlich fertig, wagten jedoch noch nicht, die Pissoirs zu verlassen. Daher betätigten sie auch noch nicht die Spülung. Maxim beugte sich am Becken steif vor und drehte mit einem leichten Schielen zu den beiden anderen den Wasserhahn auf. Er benetzte die Hände zaghaft, griff unter den Flüssigseifenspender und spritzte sich mehrere Tropfen auf die rechte Hand. Dann verrieb er matschend den Seifenschaum in einer eigentümlichen Mischung aus der ihm eigenen Hektik und einer gewollten Langsamkeit. Ohne es sich auch nur in Gedanken einzugestehen, wusste er instinktiv, er durfte dieses Schlachtfeld nicht zu schnell verlassen. Anderenfalls wäre es ihm als Niederlage ausgelegt worden.
Hobbler und Trudolf warteten immer noch vor den Keramikschüsseln. Als Senff merkte, dass sie sich nicht zu ihm trauten, als ihm auffiel, welche Macht er selbst in diesem Moment auf sie ausübte, genoss er es und verlangsamte seine Handlungen auch noch. Er spülte konzentriert den Seifenschaum von seinen Händen, von jedem Finger und aus jedem Fingerzwischenraum. Dann griff er zu dem Papier, um sich die Hände zu trocken und rieb die letzte Feuchtigkeit von der Haut. Er glaubte fast, den Angstschweiß der zwei riechen zu können, knüllte das Papier zusammen und legte es fast zärtlich in den Mülleimer. Er beugte sich noch einmal vor den Spiegel und fuhr sich mit dem rechten Zeigefinger über die Augenbrauen. Mit derselben Hand wischte er sich einmal über die Haare und kramte mit der anderen seinen Kamm aus der Gesäßtasche, mit dem er die fisseligen Spinnfäden an seinem Kopf in eine Ordnung zu bringen trachtete.
Hobbler gab auf. Er betätigte jetzt auch stumm die Spülung und trat langsam zu den Waschbecken. Trudolf war weniger mutig und wartete noch. Hobbler stand nun neben Senff und wusch sich die Hände. Der Direktor wurde immer langsamer in seinen Bewegungen, würdigte die beiden Inventaristen jedoch keines Blickes, sondern konzentrierte sich auf das Kämmen seines Spiegelbildes. Tonlos fragte er in Richtung der Pissoirs: „Sie sind doch für den Personalrat bei der Bewerbung heute, nicht wahr, Trudolf?“
„Ja, Herr Direktor“, nickte der ruhig und betätigte dann die Spülung.
„Dann sehen wir uns ja nachher“, sagte Maxim, drehte sich seine Fliege zurecht und schabte noch zweimal pikiert an dem Flecken auf seiner Fliege, der ihn bereits am Morgen geärgert hatte.
„Ja, Herr Direktor.“
Dann steckte Senff sich den Kamm wieder ein, drehte sich zur Tür und verließ die Toilette aufrecht. Als er im Büro seiner Sekretärin stand, reichte sie ihm unterwürfig lächelnd die Post in die Hand.