Donnerstag, 9. April 2009

Kapitel 11.3

Wir fuhren von der Grabungsfläche zum Bahnübergang und mussten natürlich wie üblich halten. Vor uns stand ein gelbes LPG-Ungetüm und Michas Augen glänzten.
„Ein Kasi!“, seufzte er versonnen.
Ich wunderte mich „Hm?“ und blickte umher, nicht wissend, wonach ich Ausschau halten sollte.
„Na, da vor uns“, mit beiden nach oben geöffneten Händen und hochgezogenen Schultern wies er auf das agrartechnische Ostblockwunder, das uns die Sicht versperrte, „ein K-Siebenhundert, ein Kirovets. Der hieß bei uns nur Kasi. Ein herrliches Gerät. Unkaputtbar. Damit kannst du alles machen.“
Ich schwieg. Dann lenkte ich ab: „Praktisch, dass du den Grill stiftest.“
„Ja, ich wollte mir diese Jahr sowieso einen neuen holen. Mein alter steht nur noch auf zwei Beinen.“ Sein winkender Unterarm imitierte einen umfallenden Grill.
„Blöd ist natürlich nur“, merkte ich an, „dass der direkt so eingesaut wird.“
„Ach, das macht nichts“, schob er beiseite, „ich sag immer, das fällt unter Revolutionssteuer.“
Meinen fragenden Blick beantwortete er mit einem lachenden: „Ja, so nennen wir das bei uns immer, wenn jemand was der Allgemeinheit spendet. Wenn irgendwann die Revolution ausbricht, gehört doch sowieso allen alles.“
„Du scheinst da ja sehr optimistisch zu sein?“, zwinkerte ich.
„Ja, wir tun ja auch alles dafür, dass der Staat zusammenbricht.“
Die Schranke war inzwischen wieder hochgegangen, der K-700 losgefahren. Ich startete den Dienstwagen, „nämlich?“
„Na, ein Freund von mir macht sich den Spaß, Strafzettel zu sammeln. Also nur so die kleinen, immer über ein paar Mark. Und wenn er dann die Zahlungsaufforderung bekommt, überweist er immer so fünf Mark mehr. Wir wissen nämlich von einer Bekannten“, lachte er, „dass der Amtsaufwand für die Rücküberweisung in der Verkehrsbehörde mindestens das Dreifache beträgt.“
Ich schüttelte grinsend den Kopf.
„Wir kriegen den Staat auch noch kaputt“, war Micha sich sicher und freute sich.
Wir rollten inzwischen auf den Parkplatz des Supermarktes. Nebenan war ein Metzger. Da ich davon ausging, dass wir außer dem Rinderfilet alles in der Kühlabteilung des Supermarktes bekommen würden, gingen wir erst zum Schlachter, um das von Jan gewünschte Filetstück zu besorgen. In der Metzgerei staunte ich über einen Fernseher, der am Rand der Theke aufgebaut war und mit einem großen Schild als „Hackfleisch-TV“ gekennzeichnet war. Glücklicherweise liefen keine blutigen Splatter-Filme, sondern es wurden nur gut gelaunte Rinder seltener Rassen gezeigt, die auffallend glücklich auf irgendwelchen französischen Hochwiesen flanierten und nur wenig mit den hier eng eingestallten Holstein-Frisian gemein hatten.
Die Bedienung hinter der Theke stellte sich unerwartet blöde an (nein, ich war an der Reihe, ja, Sie können mir helfen, ich möchte von dem Filet da, nein, von dem da, nein, kein Steak, sondern Filet, genau, ja, ungefähr so viel, nein, ich möchte keine halbe Kuh, ich möchte so viel, nein, das ist zu wenig, nein, ich möchte nichts mehr, danke, Sie mich auch), so dass wir unerwartet viel Zeit in dem gelb gekachelten Bau verbrachten. Anschließend brachte ich das Filet zum Auto, während Micha einen Einkaufswagen holte. Direkt neben dem Supermarkteingang stand eine überdimensionale Erdbeere, in die ein breites Verkaufsfenster und zwei seitlichen Türen eingeschnitten waren. Die Auslage war überfüllt mit zahllosen Schalen voller kleiner Sammelnussfrüchte. Micha wartete vor der großen Erdbeere, lehnte sich mit überkreuzten Armen auf den Einkaufswagen und lachte wiehernd. Als ich bei ihm ankam und mich wunderte, wies er nur auf die Schilder, die an dem Verkaufsstand aufgestellt waren.
„Ärd-bä-ren!“, amüsierte er sich, „Hat man so was schon gesehen?“ Ich grinste und verneinte wortlos.
Die Verkäufern, offenbar direkt vom Feld hierhin abgestellt, wusste sofort, worum es ging, „iest das von Tschef. Hat das Tschef geschribbän“, und freute sich nicht weniger als der lachende Hüne.
Micha erwiderte prustend: „Ja, aber dann sollte er auch so konsequent sein und Ärd-bä-rään schreiben“, mit Betonung auf der letzten Silbe des fraglichen Wortes.
Lachend schoben wir ab, hinein in die kapitalistische Ausgeburt der Vorhölle des Konsums, hinein in den Supermarkt.