Donnerstag, 24. September 2009

Kapitel 14.3

Pinscher war im selben Jahr Innenminister geworden, als Senff die Amtsleitung von Stüht übernommen hatte. Zuvor hatte er eine stramme Parteikarriere gemacht, die lediglich durch ein – seiner Meinung nach nur kleines – Skandälchen überschattet war.
Mit 18 Jahren war Pinscher Mitglied bei den Jungsozialisten geworden. Auf diesem Spielplatz der großen Gedanken und kleinen Möglichkeiten erkannte er früh seine Chancen. Der übergeordnete Ortsverein war geistig ausgetrocknet und lag personell am Boden. Pinscher konnte sich dort ohne große Mühen alle Ämter angeln, die er haben wollte. Diese Ämter nutzte er als Sprungbrett für den Aufstieg vom Ortsverein und den Unterbezirk. Kaum hatte er das Geflecht der Strippen durchschaut, die sich hinter Kulissen der demokratischen Parteiarbeit befinden, da nahm er schon die ersten in die Hand, um sie zu seinen Gunsten zu ziehen.
Er begann, die schwächsten Mitglieder zu Stimmvieh zu erziehen, indem er die verrenteten GenossInnen in ihren Altersheimen und -ruhesitzen zu Kaffee und Kuchen besuchte. Das kostete ihn zwar Zeit, die er nicht seinem Physik- und Politikstudium widmen konnte, aber die Uni hatte ihn ohnehin nur so weit interessiert, um Freunde zu gewinnen, die einen Kastenwagen besaßen. Mit ebendiesem Kastenwagen karrte er das „überzeugte“ Stimmvieh zu den Hauptversammlungen und erreichte bald den Vorsitz seines Ortsvereins. Es kostete Pinscher zwar viele geschüttelte Hände und geputzte Klinken, aber seine Parteikarriere war letztlich unvermeidlich und raketengleich.
Dieser Aufstieg blieb den Parteigremien nicht verborgen. Schnell sprachen sich seine vorgeblichen Talente herum, die niemand persönlich erlebt hatte, die aber jeder von irgendeiner anderen zuverlässigen Person erfahren hatte. Es hätte nur wenig Aufmerksamkeit bedurft, um festzustellen, dass alle diese Gerüchte allein von einem Parteimitglied ausgingen, nämlich von Pinscher selbst. Zu der Zeit war diese Tücke jedoch bereits völlig belanglos. Pinscher, der zwar kein begnadeter Demagoge war, aber doch wenigstens ein mehr als mäßig guter Redner, ackerte sich über Parteitage und Delegiertenversammlungen, um einen ersten Karrierehöhepunkt zu erreichen. Er wurde Büroleiter eines Europaabgeordneten seiner Partei. Diese Arbeit erledigte Pinscher wenigstens professionell genug, um „seinen“ Abgeordneten bei der nächsten erfolgreichen Wahl beerben zu können.
Nun begann für Pinscher ein schönes Leben. Er reiste von Parlamentssitzungen in Straßburg zurück in seine Heimatstadt zu Parteitagen und von Showveranstaltungen irgendwelcher Landesparteidelegierten hin zu den Fraktionsitzungen in Brüssel. Zeitgleich wurde er von Entscheidungsträgern innerhalb der Parteigremien in die Aufsichtsräte mehrerer börsennotierter Unternehmen geschleust. Da er ein strammer Sozialdemokrat und Gewerksschaftsmitglied war, sah er sich in den Aufsichtsräten selbstverständlich als Anwalt des kleinen Mannes – zumindest offiziell.
In Wirklichkeit hatte er sich längst an die Leute gehängt, die in der Lage waren, ihm Vergünstigungen zu gewähren. Das sorgte bei anderen natürlich für Unmut. Als er eines Tages in seiner Funktion als Gewerkschafter zu Tarifverhandlungen mit einer Limousine zum Tagungsort angereist war, wurde er sogar von einer Betriebsrätin angefahren. Sie selbst war mit dem Trabi gekommen und attackierte ihn nun: „Wenn Sie das nächste Mal mit so einem Wagen zu den Tarifverhandlungen kommen, dann können Sie sich auf die andere Seite vom Tisch setzen!“
Pinscher ließ sich jedoch nicht beirren, er folgte seinem politischen Kompass und der wies ihn zum Aufstieg. Jahr über Jahr saß er seine „Arbeit“ ab, vergaß in diesem Stress aber ganz aus Versehen, die Jahresgage für seine Aufsichtsratspöstchen dem Finanzamt mitzuteilen. Doch dummerweise bekam das nicht nur das Finanzamt eines Tages spitz, sondern zuletzt sogar die Presse, dieser übellaunige Mob, wie Pinscher vor laufenden Kameras schimpfte. Es war nicht zu ändern, seine unschuldige Nachlässigkeit war an die Oberfläche der Öffentlichkeit gespült. Als dann auch noch bekannt wurde, dass er in großem Maßstab Reisekostenabrechnungen gefälscht hatte, ließ ihm die Partei keine andere Möglichkeit, als auf sein Mandat als Europa-Abgeordneter zu verzichten.
Pinscher fiel nach diesem Absturz sanft. Alte Parteifreunde betteten ihn auf einen geruhsamen Posten im Rat seiner Heimatstadt. So wie es sich eben in jeder Partei gehört. Der Saulus schien seine Lektion gelernt zu haben. Seine nach außen getragene Reue korrespondierte mit dem sichtbaren Fleiß, mit dem er sich langsam wieder nach oben kämpfte. Bald schon war er Fraktionsvorsitzender im Rat, wenig später Oberbürgermeister und kein Jahr darauf erfolgte der Ruf in die Landespolitik.
Das dritte Jahrtausend unserer Zeitrechnung stand vor der Tür und das sozialdemokratische Personal fluktuierte wie die Besucher eines Stundenhotels. Pinscher rutschte daher schnell wieder nach oben. Er gelangte auf einen Posten als Staatssekretär und übernahm nach einer kurzen Einarbeitungszeit das Amt des Europaministers. Doch bei der nächsten Landtagswahl wurden wieder Stellen frei und Pinscher wurde über die nächste Hürde auf den Weg nach oben getragen. Zumindest kann niemand behaupten, dass sich der Mann aus persönlicher Eignung heraus als Innenminister angedient hatte. Nein, die Partei benötigte jemanden zur Leitung des Innenministeriums und Pinscher war verfügbar. Das hatte zu reichen.
Zu der Zeit, als Pinscher und Senff frisch gebacken ihren Ämtern vorstanden, lernten sich die beiden auf kulturellen Stehempfängen kennen. Trotz der Senff immanenten Machtgeilheit und seinem Drang, andere zu unterdrücken, hatte er früher nie Interesse an Parteiarbeit und Politik gezeigt. Ihm erschloss sich einfach nicht der Reiz dieser Beschäftigung. Womöglich lag es aber auch daran, dass ihm von klein auf von seinem Vater vermittelt worden war, dass es seit dem Ende des Zentrums keine wählbare Partei mehr in Deutschland gab.
Ähnlich groß wie sein Streben nach Einfluss war aber die Skrupellosigkeit des Popenbengels. Wenn er erkannte, dass ihm jemand nützen würde, dann ließ er sich mit demjenigen ein.
Als er erkannte, dass er noch über die Leitung des Denkmalpflegeamtes hinaus aufzusteigen vermochte, begeisterte er sich für die Möglichkeit, in die Politik zu gehen. Pinscher bot sich schnell als Steigbügelhalter an, weil er seinerseits der Kultur gegenüber ein für seine Partei ungewöhnlich offenes Verhältnis besaß. Er besaß ein großes Interesse an den künstlerischen Äußerungen der Menschen, aber das war natürlich auch Göring zu eigen gewesen.
In dem Moment, in dem Pinscher nun zu dem Sprung ansetzte, der ihm die höchsten Weihen im Bundesland verschaffen sollte, war es daher unvermeidlich, dass sich die beiden aneinanderketteten. Erst beschnupperten sie sich auf den Empfängen, um sich einzuschätzen. Dann freundeten sie sich langsam an, und verschwanden schon bald nach musikalischen Hochgenüssen in den nächstgelegenen Ratskeller, um da herumzupoltern und bei Bier und Wein gemeinsame Pläne zur Erneuerung des Kulturwesens zu schmieden.