Mittwoch, 30. September 2009

Kapitel 14.5

Senff hatte die meisten der an ihn gerichteten E-Mails inzwischen gelesen, da entdeckte er ein Schreiben seines Doktorvaters, in dem der ihm zu dem bevorstehenden Aufstieg Glück wünschte. Das erinnerte Maxim an etwas. Er griff zum Telefon und ließ es vor seinem Büro bei der Scheckow klingeln.
„Herr Direktor?“, monoklang es überhöht aus dem Hörer.
„Sagen Sie, bis wann war eigentlich mein Grußwort für die Einleitung zu Professor Pickenpacks Festschrift fällig?“
„Ich sehe eben im Kalender nach“, beschied sie ihn, Maxim hörte das streichende Geräusch von Papier, das umgeschlagen wird.
„Wenn Sie den Termin gefunden haben, dann kommen Sie rein und sagen Sie ihn mir, ich brauche sowieso noch einen Kaffee“, sagte er leicht ungeduldig und legte auf. Er überflog noch die Zeilen der letzten E-Mail, da klopfte es zweimal und Frau Scheckow balancierte eine Tasse Kaffee in das Büro.
„Die Abgabe ist Ende des Monats, soll Herr Plankenreiter –“
„Nein, nein, das mache ich schon lieber selber“, lehnte Maxim ab. Er lehnte sich leicht zurück, ließ die Fingerspitzen beider Hände auf der Kante des Schreibtisches ruhen und sah zu, wie sie die Tasse mit einem klappernden Laut auf den Tisch stellte.
Die Sekretärin kehrte sich zur Tür und stelzte hinaus. Maxim sah ihr kurz hinterher. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, öffnete er eine Schublade seines Schreibtisches, kramte einen Stapel Blätter heraus und begann sich ein paar Notizen über seinen Doktorvater und Förderer zu machen.
Aus dem Kopf schrieb er im Abstand von längeren Pausen ein paar Eckdaten auf die Papiere, dann kaute er nachdenklich auf dem Bleistift herum und begann wieder zu träumen. Er überlegte sich, wie es sein würde, wenn er nicht länger Direktor dieses Amtes ist und sich nicht mehr täglich mit den Niederungen der Denkmalpflege zu beschäftigen hatte. Er dachte an die Staatsekretäre, die ihm zuarbeiteten, er fantasierte sich große gesellschaftliche Änderungen zusammen, die schon bald von ihm durchgesetzt werden könnten. Hin und wieder fiel ihm etwas zu dem Grußwort ein, dann unterbrach er seine Gedanken, notierte ein Wort, fiel aber schnell wieder in den Zustand der Gedankenverlorenheit.
Erst spät wurde er von einem Klopfen unterbrochen, Frau Scheckow wollte sich verabschieden. Er tat so, als schriebe er an seinen Aufzeichnungen weiter. Sie blickte währenddessen auf die Tasse und sah, dass er den Kaffee noch nicht angerührt hatte. Mit leicht genervter Miene warf er ihr einen krächzenden Gruß zu, versank aber nach ihrem Verschwinden sofort wieder in seine Traumwelt.
Die nächste und letzte Störung war schließlich die Putzfrau, die zwar anklopfte, aber auch sofort mit ihrem Reinigungswagen in das Büro walzte. Sie grüßte gebrochen und störte sich nicht daran, dass Senff ein ungehaltenes Gesicht machte. Zielgerichtet marschierte sie auf den Mülleimer zu, zog die Tüte heraus, entsorgte sie in ihrem Wagen und stopfte eine neue, leere Tüte hinein. Senff beobachtete das, arbeitete nicht weiter, wollte aber seine Arbeit auch nicht abbrechen, solange sie noch im Büro war.
Erst als sie es verlassen hatte und er vom Gang ihr Klappern und Räumen vernahm, packte er seine Unterlagen zusammen und stopfte sie in seine Aktentasche. Verwundert entdeckte er den Kaffee, den er auszutrinken vergessen hatte, und war sich einen Moment lang unsicher, was er damit tun sollte. Schließlich entschied er, dass er am folgenden Tag keine Tasse mit kaltem Kaffee in seinem Büro stehen haben wollte, deshalb brachte er die Tasse mit spitzen Fingern hinaus in das Büro seiner Sekretärin. Dort stellte er das Porzellan auf ein kleines Regal, das mit dem restlichen Zubehör zur Kaffeezubereitung geschmückt war. Er ging wieder in sein Büro, kleidete sich mit Sakko, Schal und Mantel ein und nahm seine Aktentasche. Er kam an dem Büro des Wachmanns vorbei, verabschiedete sich überraschend freundlich bei dem Mann und verließ das Amt nahezu als Letzter. Knirschend trat er zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr nach Hause.