Sonntag, 24. Mai 2009

Kapitel 13.1

Die Hochzeitsgesellschaft war inzwischen unter fröhlichen Rufen und Gelächter vom Schloss abgezogen. Maxim hatte sich einen überaus gemütlichen Tag vorgenommen. Er hatte abgesehen von einem Bewerbungsgespräch an diesem Tag keinerlei Termine. Gut, es standen noch ein paar Texte aus, die er möglichst vor seinem weiteren Aufstieg beenden wollte, aber die drängten alle noch nicht. So wollte er für einen Ausstellungstext beweisen, dass die Nibelungensage in Wirklichkeit in Westfalen spielt.
Maxim stand von seinem Bürostuhl auf und stolzierte vor die Bücherwand. Dort ließ er seine Augen auf den Titeln herumspazieren. Erst an einem seiner Werke machte sie Rast. Es war seine Habilitationsschrift.
Senff hatte ein paar Jahre als Assistent und als stellvertretender Direktor gebraucht, dann kam es, wie es kommen musste. Das dritte Jahrtausend war noch jung, da sollte er die Venia legendi, die Lehrbefugnis erhalten. Dabei stand seine Habilitation auf zwei sehr brüchigen Säulen. Die Seminare, die er gehalten hatte, waren peinlich läppisch und die Texte, die er kumulativ einreichte, waren supermiserabel. Genaugenommen waren es sogar nur drei kurze Texte, die er während seiner Assistenzzeit je ein halbes Dutzend Mal geringfügig abgewandelt und in der Folge zahllosen kleinen Zeitschriften andrehen konnte, die man so gerade noch als wissenschaftlich bezeichnen konnte.
Dass die Sammlung angenommen wurde, lag daran, dass Professor Pickenpack sie mit geschlossenen Augen durchwinkte und höchstpersönlich dafür sorgte, dass die Gutachterkommission den Blödsinn absegnete.
Maxim war bei der Antrittsvorlesung zwar stolz gewesen, sah diese akademische Würdigung aber letztlich nur als angemessene Würdigung der ihm innewohnenden Fähigkeiten, die er schließlich als herausragend ansah. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, sich selbst als den uninspirierten und gedankenlosen Geisteszwerg zu sehen, der er in Wirklichkeit immer war.
Maxim streckte die Hand nach der Habilitationsschrift aus und zog sie aus dem Regal. Gierig blätterte er in ihr herum. Er war davon überzeugt, dass es das beste Buch überhaupt sei, nicht nur in seiner Bibliothek. Er setzte sich mit dem Buch wieder an den Schreibtisch und flatterte durch die Seiten. Er blätterte gerne in den Texten, die unter seinem Namen gedruckt waren. Er schwelgte darin und flog über die Zeilen. Maxim bekam Lust auf einen Kaffee. Er stand nicht auf, um seine Sekretärin darum zu bitten. Nein, er beugte sich lediglich vor, nahm das Telefon, wählte sich durch die Wand und bat die dahinter sitzende Frau Scheckow um das Getränk. Die bedankte sich für seinen Wunsch und klopfte nach kurzer Zeit mit einer Tasse in der Hand an Maxims Tür. Er gewährte ihr heiser „Herein!“ und empfing die schwarze Amtsbrühe.
Geräuschlos stellte Frau Scheckow die Tasse auf den Schreibtisch und verschwand wieder aus dem Büro. Maxim beobachtete sie dabei. Die Tasse nahm er erst in die Hand, als sie draußen war. Er schlürfte aus der Kaffeetasse und bekleckerte sich leicht, ohne es zu bemerken. Er stellte die Tasse leise klimpernd auf die Untertasse und nahm von ihr den gewölbten Keks in die Hand. Ohne den Blick von den Zeilen seines Buches zu lösen, tunkte er den Keks zweimal in den Kaffee und führte das schwarz tropfende Gebäck in seinen wulstigen Mund. Erst jetzt hob er die Augen und visierte mit einem leise knisternden Kauen einzelne Ecken der Wandvertäfelung an. Die hatte er noch von seinem Vorgänger übernommen. Maxims Gedanken verloren sich.