Freitag, 6. März 2009

Kapitel 9.5

Dann versank der Freizeit- und Urlaubsautonome in Erinnerungen an die Räusche, die in ihrer Einfachheit seinen argumentativen Schlüssen so sehr zuwiderliefen. Profunde Kritik an „denen da oben“ wurde in seinen Schilderungen plötzlich ersetzt durch einfache Formeln eines „Weg mit dem – Scheißsystem“-Rufs, der rhythmisch durch die linken Massen bebt, übertönt von kreiselnd rasselnden Hubschraubern und mechanisch eingetönten Lautstimmen als Antwort auf die Sprechchöre. Wallend hallt die „letzte Aufforderung: Räumen Sie den Platz!“ über die lichtfressenden Kapuzen. Die körperliche Dichte wird schlagartig aufgelöst durch Stöße der Soldaten eines übergroßen Ameisenstaates, durch Tritte und das Grapschen dick verpackter Arme und grob profilierter Stiefel mit aufblitzenden Schraubenköpfen unter den Sohlen. Längst ist der Block aufgelöst. Raketen schreien fliegend. Grünwannige Ungetüme schießen heran und spritzen hart um sich. In tiefem Rausch schneiden harte Granitwürfel zischend-kantig durch die Lüfte auf die anonymen Gesichtsmasken, hinein in die uniformierten Truppen. Sirenen, blaues Lichtgeflacker. Kunststoffhüllen und Kalkgerüste knacken laut, Blut platzt, zurück sausen Knüppel nieder, schnellen auf die Körper. Tief spitze Rufe über „Deutsche Polizisten!“ untermalen blutig flackernd fliegende Müllfetzen.
„Gärtner! Und!“ Leuchtpatronen von Signalpistolen schnurren nach vorn.
„Floristen!“ Schon klirren Schaufenster zu diamantengleichem Strass, der auf dem Asphalt in Myriaden reflektiert.
„M ö r d e r!“ Nebenan federn Autos auf die Seite und aufs Dach.
„u n d!“ Molly Malones stinkende Großfamilie ist Feuer und Flamme auf einen Landausflug zu den Bullen und Schweinen.
„F A S C H I S T E N!“ Aus dem Qualm schießen schnelle Bewegungen in den Augenwinkeln, Hosenketten klirren in den Herdenläufen. Lärm, immer wieder klirr-rauschender Lärm. Zahllose Stiefel trappen wirr durch stinkende Nebelschwaden, die teuflisch in die Augen beißen. Zuletzt Rauch, der schwarz aus rot-goldenen Flammen brennt, blaudunkle Blechwracks und der ständige Wechsel zwischen Druck und nass zerstrahlter Auflösung bis hin zur Menschenhatz des Einzigen. Immer wieder dieser Wechsel aus Enge und Zerteilung, Laufen und Prellen, Schreien und Handeln.
Infolge der bunt und lebhaft geschilderten Impressionen, mit denen Jonas uns die Randale schilderte, liebte er sie ganz offensichtlich aus schlichteren Gründen als der Ablehnung des Schweinesystems. Später rächte sich dieses Hobby. Im Juni 2001 gehörte er in Göteborg nicht nur zu den wenigen, die von den Randalierern festgenommen wurden, sondern bekam die längste Strafe von allen „Tätern“ aufgebrummt, obwohl er nach allem, was mir später glaubhaft versichert wurde, ausgerechnet zu Hause äußerst zurückhaltend gewesen sein muss. Bei der Verhandlung wurde ihm aber zum Verhängnis, dass er in Schweden als Wiederholungstäter galt, der auf eine kriminell-terroristische Karriere im Ausland zurückblicken konnte. Die schwerkriminelle Karriere bestand aus einer im Suff geknackten Flensburger Parkuhr, einem bei den Chaostagen in Hannover abgebrochenen Mercedesstern und dem vorgeblichen Besitz einer größeren Menge weicher Drogen, die ihn noch während meiner Grabung in Bedrängnis bringen sollte.