Sonntag, 1. März 2009

Kapitel 9.3

Die Phase, die nötig war, damit sich ein halbes Dutzend Leute in einem notdürftig eingerichteten Bad waschen konnte, nahm jeden Abend viel Zeit in Anspruch. Bevor man gemeinsam irgendetwas essen und zwei, drei leckere Bierchen verschnabulieren konnte, bot es sich also an, diese Ruhe zu nutzen, um den restlichen Papierkram abzuarbeiten.
Irgendwann trudelte einer nach dem anderen in den Gemeinschaftsraum vor der Küche mit Ausnahme von Wernher. Er war der Einzige in dem LPG-Gebäude, der sozusagen zu dem älteren Eisen gehörte, und hatte wenig Interesse daran, mit uns zusammen zu sitzen. Vielleicht lag es an seiner früheren Nebentätigkeit als Grabungsspitzel, denn auch die älteren Mitarbeiter auf der Grabung unterhielten sich mit ihm anders, als sie es untereinander taten. Ich weiß es nicht, fand es aber schade, weil es mir kaum schien, dass er eine größere Macke hatte als wir anderen. Im Gegenteil war er immer fleißig und sehr an der Arbeit interessiert, die er im Gegensatz zu Orka auch gewissenhaft leistete. Ich streunte daher ab und zu in sein Zimmer, bevor ich in die Küche ging, um mir eine Dose Ravioli oder ähnlichen Simpelfraß, zu dem man auf Grabungen quasi verurteilt ist, aufzuwärmen.
Ich klopfte zweimal an seine Tür, er bat mich leise „herein“. Er saß an einem Schreibtisch, blätterte in einem bunt bebilderten Katalog und mampfte gemütlich an dem Rest seines Abendessens, eine Scheibe Schwarzbrot mit Leberwurst.
„Wir sind gleich wieder in der Küche. Hast du keine Lust, auf ein Bierchen dazuzukommen?“
Wernher freute sich ehrlich, dass ich ihn fragte: „Nee, lass ma. Aber danke, det du mich frachst. Ick blätter nur noch ’n paar Minuten in meim Katalooch hier, denn hau ick mir uff’t Ohr.“
„Ich staun ja immer noch, was du dir alles in deinem Wagen mitgebracht hast. Das ist ja ein halber Hausstand hier“, bewunderte ich seine Einrichtung.
„No, man will et ja ooch jemitlich ham und det is ja schon eklich jenuch hier. Weeßte, als ick vorhin rinjekomm bin, da seh ick doch, wie uff meem Bett son kleenet Silberfischchen looft.“ Mit reibenden Fingern imitierte er ein kleines Tier, er schauderte sich merklich. „Da ha’ck denn die Decke ausjeschlagn und det Viech erst ma jesucht und totjemacht.“
„Stimmt, hier ist wirklich viel Ungeziefer. Ich hab ja zum Glück nur Spinnen, aber hast du schon mitgekriegt, was Wieland für Haustierchen hat?“
„Nee.“
„Der hat vorgestern festgestellt, dass unter der Auslegware in der Ecke an der Tür ein Ameisenstaat eingezogen ist.“
„Spinnen, Ameesen, dit is ja allet schön und jut. Det lass ick mir ja noch jefalln – aba Silberfischchen!“ Wernher schüttelte sich und verzog angewidert das Gesicht. „Nee, det muss ick wirklich nich ham.“
„Was liest du denn da Schönes?“, lenkte ich erfolgreich ab.
„Det? Och, det is ’n Katalog für meine LKW-Sammlung. Weeßte, ick sammel doch die kleenen Lasta hier.“ Er blühte auf, „Wenn ick schon nich mehr selber fahr, denn doch wenichstens sone kleene Erinnerung. Außerdem sind det allet jute Wertanlagen. Kiek ma hier uff die Seite, da den Hasseröder-Schlepper, den habbick!“ Mit der linken Hand hielt er mir den zusammengefalteten Katalog vor die Nase, mit der rechten tippte er sich auf die Brust. „Der is unter Sammlern schon seine vierzich West-Maak wert!“
Ich sagte nichts dazu, denn ich wollte ihm nicht die Illusion rauben, die diese lächerlichen Kataloge bei all denen erzeugen, die viel Geld für solche Büchlein auf die Theke legen, um schwarz auf weiß bestätigt zu bekommen, dass theoretisch (!) irgendwo auf der Welt ein (!!) Sammler (!!!) hockt, der erfundene Mondpreise für tausendfach hergestellten Plastikmüll bezahlt.
Inzwischen knurrte mein Magen laut und vernehmlich, daher konnte ich mich einfach in die Küche verabschieden, ohne weiter auf diesen Sammlerirrsinn eingehen zu müssen.