Donnerstag, 19. März 2009

Kapitel 10.2

Der Arbeitstag verlief unwirklich. Als ich zur Grabung kam, hockten Sylvia und Hans in ihrem Auto, Stefan und Dieter rollten im Pick-up an, Wernher brachte Jan mit, und Jonas fuhr wie üblich mit einem Degenhardt-Lied auf die Baustelle („Weltkrieg Nummero Eins“). Orka aber fehlte, und das machte mich glücklich. Stefan schlich sich schnell aus seinem Pick-up zum Bagger und rollerte darin klackernd auf die Fläche.
Gewöhnlich parkte er den Bagger zum Feierabend so, dass die Schaufel vor der Tür des Werkzeugcontainers lag. Mit diesem einfachen Trick war die Tür nicht ganz so leicht zu knacken. Nachdem alle ihre Taschen in den beiden Bauwagen verteilt hatten, trottete das Team zum Container, um an die Arbeitsmaterialien zu gelangen. Ich hatte Jonas zu Beginn einen Zweitschlüssel für die zwei Schlösser gegeben, damit die Ausgabe der Werkzeuge nicht allein von mir abhing.
Als ich an diesem friedlichen Tag zu dem Container kam, sah ich den Schweden angestrengt mit dem Schlüssel in dem Schloss herumkritzeln. Immer wieder rammte er ihn in den sandverkrusteten Schlitz, versuchte ihn irgendwie zu drehen und zog ihn wieder heraus. Micha stand gebückt daneben und nahm ihm gerade mit einem „Lass mich mal!“ den Schlüssel aus der Hand.
Ich fragte: „Gibt’s Probleme?“
Jonas erhob sich und stemmte die Hände in die Hüfte: „Tja, sieht so aus, als ob jemand versucht hätte, in den Container einzubrechen.“
Ich erschrak kurz, nahm aber schnell wahr, dass jeder Versuch offenbar erfolglos gewesen sein musste. Die Türen waren zu, die Seitenwände waren nicht ausgebrochen und selbst die Schlösser waren noch verschlossen. Dagegen zeigten sich Schrammen auf den Türen und den Schlössern, vor dem Container war eine tiefe Baggerschaufelmulde im Boden. Micha prokelte und ruckelte an dem Schloss: „Nix zu machen! Das ist total verbogen. Dabei ist das doch son gehärtetes Stahlschloss?“
Stefan wartete auf der Fläche in seinem Bagger darauf, dass der Schaufelmann zu ihm kam. Da die wertvolleren Zeichenmaterialien wie die Maßbänder in meinem Wagen waren, hätte Sylvia zwar schon mit ihrer Arbeit anfangen können, sie stand jedoch mit uns am Container und schaute sich das Schauspiel an.
„Hat jemand irgendwie Werkzeug im Wagen?“, fragte ich.
Hans meldete sich und sagte, ohne dass ich ihm das Wort erteilen musste: „Also, ich hab ’ne Metallsäge im Auto.“
Wernher zweifelte: „Na, ob dit wat bringt?“
Ich wusch die Illusionen von dem gehärteten Schloss mit einer lässigen Handbewegung hinweg: „Dochdoch, ich hab son Schloss schon mal auf ’ner anderen Grabung knacken müssen.“
Dann machten wir uns an die Arbeit. Einer musste die ganze Zeit das Schloss halten, zwei sägten abwechselnd. Nach einer Weile hatten wir die Tür wenigstens so weit geöffnet, dass wir sie komplett aufbrechen konnten. Dieter und Hans hämmerten die Tür wieder zurecht, dann schnappte sich jeder Schaufel, Spaten und Kratzer, was er eben brauchte, und lief damit auf die Fläche. Sylvia blieb mit mir noch als letzte am Container stehen. Als die anderen schon auf der Fläche waren, sagte sie: „Das sieht mir aber gar nicht danach aus, als ob hier jemand einbrechen wollte.“
Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Nee, das hab ich auch gesehen. Das war Stefan mit der Schaufel. Deswegen hatte er’s wohl auch so eilig, auf die Fläche zu kommen.“ Ich zuckte mit den Schultern, „aber das macht mir heute gar nix aus. Orka kommt heute nicht.“ Ich freute mich sichtlich.
„Du, ich wollt dich schon fragen, wo die bleibt?“, fragte Sylvia in einer Mischung aus Anteilnahme und einem kräftigen Schuss Neugierde.
„Hat heute Nacht in der LPG angerufen“, ich sprach das nächste Wort langsam und betonte es lächerlich, „Tennisarm“, dann stieß ich einen stumpfen Lacher aus. Sylvia schüttelte den Kopf.
„Naja, ich muss dann mal los, ’n neues Schloss besorgen. Arnold sagte mal, in Bratin gibt’s ’nen Baumarkt?“
„Ja, da fragste am besten das Hänschen, der kann dir den Weg beschreiben. Bringste mir zum Zeichnen noch ein bisschen Maurerschnur mit?“ Ich nickte, während ich bereits zu Hans lief, um mir von ihm den Weg erklären zu lassen.