Freitag, 19. Dezember 2008

Kapitel 3.1

Senffs Lehr- und Forschungsgrabung fand auf einem Plateau nahe eines kleinen Kaffs namens Neuweiler statt. Das Kaff liegt irgendwo südlich der Mittelgebirge. Im Gegensatz zu echten Notbergungen im richtigen Leben oder Ausgrabungen in freier Wildbahn sind solche Forschungsgrabungen grundsätzlich recht gemütliche Veranstaltungen. Meist gibt es keinen Mangel an Arbeitsmaterialien, und vor allem Zeit hat man gewöhnlich im Übermaß. Eigentlich könnte man zu den meisten dieser Luxusgrabungen mit weißen Turnschuhen antreten und sähe dennoch hinterher aus wie diese geleckte Archäologin aus der lächerlichen Crème-Werbung, deren größtes Problem bei der Beaufsichtigung der faulen Fellachen ihre trockene Haut ist.
Neuweiler aber war anders. Böse Zungen behaupteten, es habe an der Lage in Dunkeldeutschland gelegen. Halbwegs objektive Zungen wissen, es lag eindeutig an Senff, der die Lehrgrabung von Alpha bis Omega unter seiner Kontrolle hatte. Das bedeutete vor allem, Senff hatte die Kontrolle über die Grabungskasse, die gut gefüllt war, weil die Institute solcher Orchideenfächer Ende der 80er noch verhältnismäßig viel Gelder erhielten. Forschung wurde damals nicht nur auf Patente und Gentechnik beschränkt. Es wehte noch mehr als ein kümmerlicher Rest des heute lediglich in Sonntagsreden viel und hoch beschworenen Humboldtschen Geistes durch die Luft.
Leider kamen diese Möglichkeiten wie so oft auch dieses Mal nicht in die richtigen Hände. Senff erhielt die Macht über eine sechsstellige Summe, über die er nach Gutdünken frei verfügen konnte, sofern er die Gewichtung der Ausgaben nicht übertrieb.
Das begann zunächst damit, dass er sich im Vorfeld eine verhältnismäßig gut ausgestattete Unterkunft besorgte. Dabei war er selbst nicht wenig über das Zimmer erstaunt, das ihm die Pensionswirtin zuwies. Sowohl die Lampenschirme als auch die Bettwäsche waren mit Leopardenmuster bezogen, über dem französischen Bett hing an der Decke ein zweimaleinsfuffzich messender Spiegel. Als Maxim das erste Mal jemandem von der Unterkunft erzählte, wurde er prompt gefragt, ob er stundenweise bezahlen müsse. Doch er wusste weder mit der Einrichtung noch mit der Frage etwas anzufangen, schließlich war er in sexueller Hinsicht eher unbedarft. Sein Leben lang hatte er nur wenig Interesse am Vollzug gehabt, allein die Herrschaft über andere Menschen und bestenfalls deren Erlangung zählten etwas in seinem krausen Weltbild.
Senffs Unterkunft brachte jedoch auch Unannehmlichkeiten mit sich. Zur Südseite besaß das im Erdgeschoss liegende Zimmer ein sehr großes Fenster mit einer Reihe von Gitterstäben zum Schutz vor Einbrechern. Eines Abends nun, als Senff gelangweilt damit beschäftigt war, zumindest den Papierkram zu beenden, den er nicht auf andere abwälzen konnte, bummelte die angetrunkene Dorfjugend von der örtlichen Bushaltestelle, die lediglich zu Beginn und am Ende des Tages von je einem Bus frequentiert wurde, an ebendiesem Fenster vorbei und erblickte erheitert diesen merkwürdigen Menschen, über den man sich im Dorf das Maul zerriss. Der Alphajugendliche sprang nun unvermittelt auf das Fenster zu. Damit hatte er den unausgesprochenen Befehl gegeben, dass wenigstens die drei anderen Jungs der Gruppe ihm zu folgen hatten. Sie sprangen mit nur geringer Verzögerung an die Gitterstäbe, klammerten und schaukelten daran wie Schimpansen in der Pubertät. Dazu brüllten sie mehrmals laut „FICKÖÖÖN“ gegen das Fenster. Senff rammte vor Schreck mit der verrissenen Feder seines Füllers einen markanten und tiefen Kratzer in den Tisch. Verstört blickte er zu dem Fenster, sah die vier königlich amüsierten Halbwüchsigen, die bereits von ihrem Abendvergnügen abließen. Senff stand auf, schritt fest zum Fenster, konnte die vier aber nur noch die Straße hinabspringen sehen. Ihr Anführer warf zum Abschied noch einen kleinen Stein gegen das Fenster. Der Stein war zu klein, um einen Schaden am Fenster anzurichten, aber groß genug, um an Senffs Ego zu kratzen. Kurze Zeit dachte er daran, Professor Pickenpack zu bitten, dem Dorfbürgermeister bei der nächstbesten Gelegenheit die Wichtigkeit der Ausgrabung und ihres Leiters deutlich zu machen.