Dienstag, 6. Januar 2009

Kapitel 5.1

Das Telefon klingelte an einem Freitagmittag.
„Hallo?“
„Ja, hallo? – Hier ist Räumer, Dieter Räumer. Ich habe Ihre Telefonnummer von Doktor Maxim Senff.“
„Aha“, wunderte ich mich.
„Ja. Das Wetter soll ja toll werden“, abhackte Dieter Räumer. Ich staunte ein wenig.
„Also, wenn es am Montag losgeht, soll’s ja auch schön werden.“
„Wenn was losgeht?“
„Die Ausgrabung. Hat Doktor Senff denn noch nichts gesagt?“
„Nein.“
„Ja. Also, am Montag soll bei der Allee nach Totenow die Grabung losgehen. Da, wo die neue Umgehung gebaut werden soll. Da waren doch gerade die Grünen und haben die Bäume mit Kreide mit einem X bemalt. Da ist sofort die Polizei gekommen. Da trauen sie sich. Aber wenn die Nazis aufmarschieren, dann sind’se weg“, redete Dieter sich in eine trocken geschnittene Rage.
„Eine Ausgrabung in Totenow?“
„Genau. Hat Doktor Senff denn noch nichts erzählt?“
„Nein, aber ich werde ihn gleich mal anrufen“, ich sah auf meine Uhr und stockte, „wenn er noch im Haus sein sollte.“
„Ja, wir sollen uns jedenfalls um Zehn an der Grabung treffen. Dann kommen auch Bauwagen, Dixi und der Bagger.“
„Gut, ich klär das erst mal mit Maxim Senff“, verabschiedete ich mich etwas kühl.
Ich legte auf, suchte die Nummer von Senff heraus und rief ihn an. Natürlich erreichte ich ihn nicht mehr, an den Apparat ging sein damaliges Faktotum Matthias Spasst, den ich damals noch nicht persönlich kannte. Eine mir bekannte Archäologin hatte mir allerdings ein wenig von ihm erzählt. Er sei ein Klarchologe, wie Klassischen Archäologen im deutschsprachigen Raum von praktisch arbeitenden Bodendenkmalpflegern in durchaus abwertender Absicht bezeichnet werden. Klarchologie, das bedeutet Meditieren über Mamormuskeln, Faltenzählen, Haarwirbel suchen und Vasenkunde der stumpfsinnigsten Art. Obwohl ein Gutteil der beginnenden Archäologie von Untersuchungen der klassisch archäologischen Themen ausging, gilt die klassische Archäologie heute eher als Unterabteilung der Kunstgeschichte. Von moderner Ausgraberei verstehen Klarchologen dagegen üblicherweise nichts oder sogar noch weniger.
Dank dieser Grundinformationen wusste ich etwa, wie ich Matthias einzusortieren hatte. Er erklärte mit einer saumsäuseligen Stimme, dass der Bauherr unbedingt anfangen wollte, um rechtzeitig drei Monate später mit dem Bau der Umgehungsstraße beginnen zu können. Der Projektleiter beim Straßenbauamt sei allerdings erst am Mittwoch aus dem Urlaub zurückgekehrt und habe es erst jetzt geschafft, den Landwirt davon zu überzeugen, den Archäologen Begehungsrechte zu erteilen.
Da ich damals schon mit den Abläufen und den Gepflogenheiten der zuständigen Verursacher vertraut war, wunderte mich die Erklärung kaum, obwohl es mich ein wenig störte, dass Senff mir nicht zuvor einen minimalen Hinweis darauf gegeben hatte, dass ich für diese Ausgrabung grundsätzlich als Leiter vorgesehen war. Außerdem erklärte es überhaupt nicht, warum dieser Dieter vor mir informiert wurde.
Ich erfuhr nun, dass es sich bei der Fundstelle um eine Siedlung der späten Bronzezeit bis zur Eisenzeit handelte. Danach teilte der Klarchologe mir mit, wie hoch der Beitrag war, den mir das Landesamt zu meinen Unterkunftskosten zurückerstattete. Das Amt hätte jedoch auch ein altes LPG-Gebäude angemietet, in dem sich eine einfache Küche und Dusche befände. Hier könnte ich gratis unterkommen. Außerdem bekäme ich einen Dienstwagen, der am Montag am Amtssitz mit einem Teil des Grabungsmaterials abzuholen sei. Zuletzt fragte er, ob ich schon lange versucht hatte, ihn zu erreichen, besaß doch das gesamte Amt lediglich eine (!) Leitung, mit der man in das öffentliche Telefonnetz telefonieren konnte. Als ich ihm mitteilte, dass es mein erster Versuch gewesen war, beglückwünschte er mich zum Abschied.
Den Rest des Wochenendes verbrachte ich damit, telefonisch nach einem Zimmer in Totenow zu suchen. Am Sonntagnachmittag erkannte ich aufgrund der Pensionsknappheit, dass es einfacher wäre, in der LPG unterzukommen, in der auch andere Grabungsleiter und ein paar Arbeiter wohnen wollten.