Donnerstag, 15. Januar 2009

Kapitel 5.3

„Du kommst also aus Schweden?“, fragte ich, als er mich die Gänge zu dem Kellergewölbe führte.
„Jo, das gibt ein kleines Dorf im Zentrum des Landes, da komme ich von her.“
„Und was hat dich ausgerechnet nach Deutschland verschlagen?“ Wir tippelten eine kurze Treppe hinab.
„In Sweden sind nicht viele Stellen, und du kannst in Deutschland gut lernen auszugraben.“
„Mannmannmann. Das ging ja jetzt alles ziemlich überstürzt. Ich bin erst am Freitag von einem Arbeiter informiert worden, dass es heute losgeht.“ Es ging zwei kurvige Gänge nach links.
„Am Freitag erst?“
„Wusstest du schon früher Bescheid?“
„Maxim hat mich schon vor anderthalb Wochen informiert. Wer hat dich denn angerufen?“ Und wieder nach rechts.
„Ein Dieter Räumer. War’n bisschen merkwürdig am Telefon. Vor anderthalb Wochen?“
„Ja. Aber das ist normal hier. Daran wirst du dich noch gewöhnen“, grinste er, „Dieter ist o.k. Der ist ein guter Arbeiter und ziemlich nett. Manchmal wirkt er ein bisschen trottelig, das ist er aber nicht“, ergänzte er noch, dann standen wir vor der Kellertür, die uns beiden kaum bis zur Brust reichte.
Jonas, der wusste, welcher Schlüssel in das Schloss passte, öffnete sie. Hinter der Tür glitt eine schäbige ausgetretene Treppe herab, deren Abstiegswinkel an die Eiger Nordwand gemahnte. Jonas griff hakig um den Türrahmen nach dem Lichtschalter und führte mich in den trüben Keller. Der Gerätekeller war über und über mit Resten abgebrochener Schaufeln, Spaten, den Leichnamen rostzerfressener Schubkarren, eingedreckten und angeschimmelten Schubkarren und Holzfunden zugestapelt. Lediglich ein schmaler Gang war freigeräumt, durch den wir uns zwängten, um zu dem ersten Raum zu gelangen, in dem die besseren Werkzeuge eingeschlossen waren.
„Hier sollte Matthias mal sein hobby-horse machen“, stänkerte Jonas, wies auf die schwammigen Wände und zog grinsend die Mundwinkel nach oben.
„Wieso?“
„Na, er renoviert doch so gerne.“
„Aha. – Na, ich kenn ihn nicht besonders.“
„Ja, er zieht immer von einer Wohnung in eine andere. Ist er eingezogen, renoviert er sie. Dann zieht er wieder in die nächste Wohnung und renoviert die dann.“
„Tatsächlich?“, jetzt konnte ich mir ein Grinsen auch nicht länger verkneifen. Jonas öffnete die nächste Tür. In diesem Raum waren die Werkzeuge sehr ordentlich in Regale geräumt und nach Form, Arbeitsbereich und Material sortiert.
„Was fehlt denn noch so in Totenow?“, fragte ich.
„Wir brauchen vor allem Geräte für die Vermessung. Also Stativ, Messlatte, Holzpflöcke, Maßbänder, Nägel und ein biss-schen Kleinkram, ein biss-schen Kellen, Pinsel und so. Außerdem Nordpfeil und Maßstab für Fotos. Schaufeln, Spaten, Fluchtstangen und Schubkarren sind dagegen in Totenow genug“, antwortete der Schede, wispernd fügte er hinzu: „Hoffentlich hat Wieland nur nicht alles in seinem Zimmer gehortet.“
„Wieland?“, fragte ich. „Wieland Kellerman?“ Ich kannte Wieland von der Uni. Er war nicht gerade die archäologische Leuchte und hatte oft Probleme, mit anderen Menschen sozial zu interagieren. Dabei besaß er eine Grundahnung von vielem, für die praktische Arbeit fehlte ihm allerdings schlicht und ergreifend jede Patenz. Dennoch hatte ich ihn als durchaus erträgliche Person kennengelernt.
Wieland war vor allem zur Archäologie gekommen, weil sein Vater seit Jahrzehnten ein arrivierter Archäologe war. Als der Sohnemann begann, in dessen Fußstapfen zu treten, saß Papa Kellerman längst in zahlreichen Kommissionen. Die Familie gehörte trotz ihres eher einfachen Namens irgendeinem größtenteils ausgestorbenen Adelszweig an, dem sie ihr Familienwappen verdankten. Wieland hatte es mir eines Tages an der Uni beschrieben und skizziert, ich kann mich aber nur noch daran erinnern, dass es ungewöhnlich kleinteilig war. Es war in Viertel gegliedert, in denen eine stilisierte Kuh, ein Pferd, ein Reh und irgendetwas zu essen abgebildet war.
Wir kramten die notwendigen Geräte zusammen und stellten sie vor die Tür, bevor wir sie aus dem Keller und zum Parkplatz der Dienstfahrzeuge trugen. Zwischenzeitlich begrüßte Maxim uns kurz auf dem dichtregalten Gang, sagte mir, welchen Wagen ich bekomme (einen Geländewagen) und reichte mir dessen Schlüssel.
„Bevor du losfährst“, ermahnte er mich, „kommst du nochmal in mein Büro. Wir müssen noch den Papierkram machen.“
„Stimmt. Und ich würde gerne wissen, wohin ich fahren muss“, erwiderte ich mit einem schnippischen Ton, der Maxim völlig zu entgehen schien.
Als Jonas und ich die Geräte in dem nagelneuen Dienstauto verstaut hatten, ging ich zu meinem privaten Wagen, um meine Taschen zu holen. Als ich wieder bei dem Geländewagen ankam, stand dort der Schwede und rauchte eine Zigarette an. Kaum begann sie zu glühen, zog er aus seiner Weste einen Taschenascher, öffnete ihn und legte die Zigarette auf die dafür vorgesehene Delle.
„Und wo kommst du her?“, fragte er mich.
„Ich hab hauptsächlich im Pott studiert. Im Ruhrgebiet.“ Ich ergänzte: „Ist nur ein kleines Institut, dafür umso feiner“, und lächelte wissend.
„Möchtest du später an der Uni arbeiten?“
„Nee, ich strebe eindeutig die praktische Arbeit an. Bloß nicht mit zu vielen lebenden Menschen in Kontakt kommen, ist meine Devise.“
Jonas nickte, „Das kann ich verstehen.“ Seine Zigarette lag weiterhin auf seinem Taschenascher und glühte vor sich hin. Dort blieb sie auch für den Rest dieses verbalen Beschnupperns liegen, bis sie bis zum Filter verascht war. Danach klappte er den Taschenascher ein und ermahnte mich, jetzt solle ich aber besser zu Maxim gehen, bevor der ungeduldig wird.
Ich kramte die Versicherungsunterlagen aus einer meiner Taschen und trabte federnd in das Büro von Maximmatthiasmerle. Als ich nach Wieland fragte, wurde mir eröffnet, dass gleich drei Grabungen in näherer Umgebungen stattfinden würden, eine leitete Wieland, die zweite ein Arnold Eichhorn, den ich nicht kannte, und das letzte Projekt schließlich hatte ich bekommen. Da die zwei bereits für das Amt gearbeitet hatten, sollte ich mich bei Problemen zunächst an einen der beiden wenden. Matthias drückte mir noch den Fotokoffer mit einer Spiegelreflexkamera, drei Dia-Filmen, einer Fototafel, und den Buchstaben in die Hand.
Im Kabuff musste ich noch etliche trübe Witzeleien über mich ergehen lassen, während ich den abgespeckten Arbeitsvertrag gegenzeichnete und mir auf Plänen die Position der Ausgrabung zeigen ließ. Gnädigerweise musste ich die gewünschten Ausgrabungsflächen nicht memorieren, sondern bekam zusammen mit etlichen Formularen Kopien von den Plänen ausgehändigt.
Am selben Tag, so erfuhr ich nun, sei lediglich mit der Anlieferung des Baggers, der Bauwagen und des Baustellenklos zu rechnen. Im Laufe des Tages käme außerdem Wieland zu meiner Grabung, um mir einen Schlüssel für die Unterkunft in Totenow auszuhändigen. Dessen Grabung sollte nur wenige hundert Meter von meiner Grabung entfernt liegen, und im Zuge derselben Bauarbeiten notwendig geworden sein.
Erst am zweiten Tag sollten Sylvia Widder, die erste Zeichnerin, mit dem Arbeiter Hans Gros zum Team stoßen, was ich besonders lustig empfand, weil eben dieselbe Archäologin, die mir Grundinformationen über Spasst gegeben hatte, mit beiden zusammen gearbeitet und mir ein paar Geschichten von diesem Arbeitsehepaar erzählt hatte. Ab dem dritten Tag schließlich seien neben Jonas auch der ehrenamtliche Denkmalpfleger Wernher Senger, ein grabungserfahrener Arbeiter Jan Retzlaff sowie eine Studentin namens Marion Pauls bestellt. Letztere wurde aufgrund ihrer telefonischen Angaben ebenfalls als (für das Amt finanziell besonders günstige) Zeichnerin angestellt.
Bevor ich mit Dieter in der LPG Totenow die restlichen Werkzeuge abholen sollte, ermahnte Maxim mich allerdings mit einem pflaumigen Gesicht, auf die Vermesser vom Katasteramt zu warten, die uns die Fläche noch genau auspflocken sollten. Ich meldete Maxim und Matthias ein „Selbstverständlich!“, verabschiedete mich artig und ging hinaus zu dem Dienstwagen.