Donnerstag, 1. Januar 2009

Kapitel 4.1

Senff hatte mit der erfolgreichen Ausgrabung ein Thema, über das er promoviert werden konnte. Er sollte seine Ausgrabungsergebnisse über Neuweiler vorlegen, auswerten und sich von der Siedlung ausgehend Gedanken über Rohstoffversorgungsfragen der germanischen Siedler machen. Diese Arbeit reichte er an demselben Institut ein, an dem mein Doktorvater lehrte. Bevor ich mit meiner Dissertation begann, hatte ich dort bereits zwei Semester studiert. In zahlreichen Gesprächen mit meinem Doktorvater wählte ich ein Thema, das leider unausweichlich die Doktorarbeit von Maxim Senff geographisch mit einbezog. Daher empfahl er mir dringend, nicht allein dessen Ergebnisse bezüglich der Rohstoffversorgung zu berücksichtigen, sondern mich auch persönlich mit diesem Assistenten auszutauschen.
Mein Doktorvater hatte Freude daran, Leute zu verulken. Am Institut war er der Kauz und er gefiel sich sichtbar in dieser Rolle. Er schätzte es, falsche Fährten zu legen, und so listig, wie er bei der Empfehlung grinste, hätte ich ahnen müssen, dass er Hintergedanken hatte, die mir erst spät klar wurden. Vielleicht rechnete er seinerseits noch nicht mit dem hohen Grad der Pedanterie, die mich immer schon umtrieb und gleichzeitig verfolgte. Ich arbeitete mich daher Seite um Seite in die Dissertation dieses Maxim Senff ein und gewann so meine grundlegenden Ansichten über ihn, die im Laufe späterer Jahre nur noch bestärkt wurden. Trotz eines spärlichen zeitlich befristeten Stipendiums irrte ich durch dieses gewundene Sammelsurium abgedroschener Gemeinplätze, vertiefte ich mich in den gebündelten Stapeln, die aus anderen Texten exzerpiert waren und die der Autor offensichtlich nicht verstanden hatte. Je tiefer ich in diese Ergüsse rutschte, desto klarer wurde mir, was ich vor mir hatte. Ich entwickelte diesem „Assistenten“ gegenüber mehr und mehr Aggressionen, die ich nie wieder abzulegen vermochte.
Es war einfach nicht zu beschönigen. Senffs Dissertation gehörte schlicht zu den Büchern, deren Wert vornehmlich durch den Einband bestimmt wird. Selbst bei Nichtbeachtung der zahlreichen Fehler, von der die Dissertation nur so wimmelte, musste jeder objektiver Betrachter einräumen, dass der Text vornehmlich aus abgeschriebenen Füllseln bestand, für die sich nicht einmal seine Zuträger in geistige Unkosten stürzen mussten. Senff konnte das natürlich nicht merken, hatte er das Thema seiner Arbeit selbst doch weder studiert noch verstanden. Er hatte höchstens den Plan entworfen, den ihm unverständlichen Stoff sortiert und irgendwie zusammengefügt. Nicht einmal das Papier und das Gerät zur „Abfassung“ der Arbeit hatten ihm gehört, auch in dieser Hinsicht hatte er auf den Besitz anderer zugreifen können, da ihm das Gerät vom Institut gestellt wurde.